Eine bittere vermeidbare Niederlage: DIE LINKE um die Achse einer linken populären Politik neu ausrichten

Marxistisches Forum

in der Partei DIE LINKE.

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                                                                                                          Berlin, 07. Oktober 2021

Erklärung SprecherInnenrat des Marxistisches Forums in der Partei Die Linke 07.10.2021

Eine bittere vermeidbare Niederlage: DIE LINKE um die Achse einer linken populären Politik neu ausrichten

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 stellt eine schwere, bittere – aber auch vermeidbare – Niederlage für die Partei DIE LINKE dar. DIE LINKE hat zwei Millionen WählerInnen verloren. Eine Million davon wanderte zur Sozialdemokratie ab; 500.000 gingen zu den Grünen, und eine beträchtliche Zahl ins Lager der NichtwählerInnen. Im Ergebnis sind wir unter die fünf Prozent gerutscht, und nur dank der drei Direktmandate noch in Faktionsstärke im Bundestag vertreten. Es gab externe Faktoren, die gegen die Linke liefen. Da war zum einen unsere weitgehende Unsichtbarkeit während der Corona-Pandemie, weil die Haltung zu dieser Frage unsere Wählerschaft zu zerreißen drohte. Zum anderen gab es schließlich einen Polarisierungswahlkampf, der zwei Merkmale aufwies: einmal den Einbruch der CDU und gleichzeitig das Ende des Höhenflugs der Grünen Die SPD hat ihr relativ gutes Abschneiden bei den Wahlen zwei Faktoren zu verdanken: Zum einen, weil viele WählerInnen einen Kanzler Laschet verhindern wollten. Zum anderen erhofften sich viel der WählerInnen durch die SPD eine soziale Abfederung der notwendigen ökonomischen Transformation aufgrund der Klimakrise. Leider hat DIE LINKE keine Strategie entwickeln können, wie der notwendige ökonomische und ökologische Umbau der Gesellschaft und Wirtschaft mit einer Strategie der radikalen Umverteilung von Vermögen und Einkommen von oben nach unten und mit einer Sicherung der berechtigten Interessen der ArbeitnehmerInnen zusammengebracht werden kann. Vielmehr waren Teile der Partei davon überzeugt, dass die liberale Ökologiepolitik der Grünen noch durch offensivere Forderungen nach Bepreisung der ökologischen Folgen der Zerstörung von Klima und Umwelt gemindert werden könnte. So war es für die LINKE nicht möglich, die Stimmen zu halten, die in der Partei eine soziale Alternative zu den anderen Parteien gesehen hatten. Gleichzeitig konnte sie keine Stimmen von jenen Wählerinnen gewinnen, die der grünen Klimapolitik skeptisch gegenüberstehen.

Die Hauptursachen für unsere Niederlage liegen jedoch tiefer und sind nicht erst im Wahlkampf entstanden. DIE LINKE hat aber trotz vieler sozialer Forderungen verloren – gerade wegen ihres gleichzeitig mangelnden sozialen Profils, das über Jahre hinweg kontinuierlich abgebröckelt war. DIE LINKE kommt nicht mehr glaubhaft daher als die Partei, welche die Sorgen und Nöte der ArbeitnehmerInnen und sozial Benachteiligten ernstnimmt und sie dabei auch versteht. Seit 2015 hat die Politik der Linken allmählich zum Verlust dieses Profils beigetragen.

Der Absturz der LINKEN von 11,9 Prozent (2009) auf jetzt 4,9 Prozent geht zurück auf eine fehlende ökonomische Strategie zur Überwindung der aktuellen Klima- und Gesellschaftskrise. Durch ihr Auftreten hat die LINKE nicht mehr geschafft, die Sprache und Interessen ihre Stammwählenden zu sprechen und gleichzeitig den Eindruck erweckt, dass sie die „besseren Grünen“ seien wollen. DIE LINKE hat den Eindruck bei Millionen von Lohnabhängigen hinterlassen, dass sie in der Klimaschutzfrage analog zu den Grünen Klimaschutz auf dem Wege der Verteuerung von Benzin, Gas und Heizöl erreichen wolle.  All dies hat uns viel Zuspruch gekostet und gehört zu den wesentlichen Ursachen für den Vertrauensverlust bei Millionen von Lohnabhängigen und RentnerInnen.

Darüber hinaus gibt es weitere wichtige Ursachen für die Wahlniederlage der LINKEN.

Die Strategie, einen Wahlkampf vor allem gegen die CDU zu führen, SPD und Grüne dabei aber zu schonen und sich quasi zum Nulltarif an den Katzentisch einer Koalition mit SPD und Grünen heranzubetteln, hat desorientierend und demobilisierend auf wichtige Teile unserer KernwählerInnenschaft gewirkt. Dasselbe gilt für die von einigen Politikern der LINKEN ausgelösten Kontroversen über unsere Friedenspolitik, unsere Gegnerschaft zum Kriegsbündnis NATO und die Kritik an unserem Verhalten in der Afghanistan-Debatte.

Wie das marxistische Forum bereits am 04.09.2021 erklärt hat: Für die Beteiligung an einer Koalition ist die Zeit nicht reif. Ein Mitregieren der LINKEN hätte zur Voraussetzung, dass es ein allgemeines Klima des Wechsels gäbe, welches linke Politik begünstigen und DIE LINKE, gestützt auf reale Bewegungen in eine gewisse Position der Stärke bringen würde, um auch inhaltlich einen Regierungskurs durch fortschrittliche Politik mitgestalten zu können.  Es gab zwar nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft eine Stimmung des Personalwechsels, aber keine ausgeprägte Stimmung für einen Politikwechsel, der DIE LINKE begünstigen könnte. SPD und Grüne wollten zu keinem Zeitpunkt eine Koalition mit der LINKEN, was sie wollten, waren allerdings die Stimmen unserer WählerInnen.

Die SPD und die Grünen ließen erkennen, dass sie sehr wohl gemeinsam oder aber auch gern in einer Koalition mit der FDP regieren würden. Olaf Scholz lehnte ein Linksbündnis ab, denn dann müsste er das halten, was die SPD im Wahlkampf versprochen hat: eine zwar nicht sehr große aber dennoch punktuell einzuleitende Wende in der Sozialpolitik. Er sagt dabei jedoch, dass DIE LINKE seine Mindestanforderungen an einen Koalitionspartner – darunter ein klares Bekenntnis zur NATO, zu solidem Haushalten und zur transatlantischen Partnerschaft – nicht erfülle. Interessant hierbei ist, dass er mit dem soliden Haushalt argumentierte, was im Klartext wiederum heißt, dass es mit ihm keine Politik für einen sozialpolitischen Kurswechsel geben wird. Um einen solchen Kurswechsel von SPD und Grünen durchzusetzen, bräuchte man also eine starke LINKE, eine Partei DIE LINKE, die auf SPD und Grüne genügend Druck ausüben könnte. Aber genau in dieser Richtung half uns das hilf- und ziellose Agieren der Parteispitze in der Koalitionsfrage keinen Schritt weiter.

Eine LINKE, die im Wahlkampf einseitig das Angebot in einer Koalition aus liberalen Parteien, wie das SPD und Grüne derzeit in ihrer Mehrheit an der Führungsspitze sind, mitzuarbeiten, stellt ihre Positionen bewusst zur Disposition, da mit den derzeitigen liberalen Parteien, keine fortschrittliche Politik hin zu einem grundlegenden Politikwechsel erreicht werden kann. In der Argumentation haben Teile der Partei die Forderung nach eine Regierungsbeteiligung mit der gleichzeitigen Bereitschaft zur Aufgabe oder zumindest Zurückstellung von Forderungen der LINKEN verbunden. Damit wurde eine eindeutige Positionierung der LINKEN anhand ihrer Forderungen zurückgestellt.

 Auch der Charakter der LINKEN als Friedenspartei wurde durch die ständige Betonung, dass DIE LINKE für eine Koalitionsbeteiligung am Katzentisch von Rot-Grün bereit zu stehe, von vielen in unserer StammwählerInnenschaft als Aufgabe von linken, antimilitaristischen Positionen verstanden.

Eigene Forderungen sind im Sofortprogramm für die Bundestagswahl abgeschwächt worden, dass gar nicht mehr klar ist, wofür man DIE LINKE überhaupt noch braucht. Mit diesem Sofortprogramm, welches ohne Diskussion und ohne Beschluss im Parteivorstand der Öffentlichkeit präsentiert wurde, braucht man nicht DIE LINKE zu wählen – solch ein Programm könnten SPD und Grüne auch ohne Beteiligung der LINKEN durchsetzen.  Die Zuspitzung auf CDU und dann FDP in der Schlussphase, und die Schonung von SPD und Grünen im Wahlkampf waren grundsätzlich falsche Entscheidungen.

Aus marxistischer Sicht betrachtet standen am 26. September lediglich zwei verschiedene Modelle der kapitalistischen ökologischen Modernisierung zur Wahl. Dies hätte DIE LINKE klarer herausarbeiten müssen.

Die CDU steht für ein Modell der Modernisierung, das mit staatlichen Investitionen, durch Steuergelder finanziert, dem Kapital Risiken abnimmt und die Kosten dafür (z.B. in Form hoher Co2-Preise) auf die ArbeiterInnenklasse abwälzt – ohne sozialen Ausgleich. Es handelt sich dabei also um eine Politik des Sozialabbaus. Die SPD und Grüne haben nichts anderes im Sinne, versprechen aber (unter Vorbehalt eines vorherigen Kassensturzes) einen sozialen Ausgleich. Die Grünen ihrerseits wollen die Mittelschicht fördern, während die SPD eher die mittleren und unteren Einkommensgruppen berücksichtigen will. Ziel der beiden zur Wahl stehenden liberalen Modelle ist es jedenfalls, den deutschen Kapitalismus mit all seinen imperialen Ansprüchen fit zu machen für den zunehmenden globalen Konkurrenzkampf. An der strukturellen Beseitigung von Armut und Ungerechtigkeit sind weder SPD noch Grüne interessiert. Sowohl die CDU als auch Grüne und SPD setzen auf eine wirtschaftliche Dynamik, um die 450 Milliarden Schulden, die sich im Laufe der Corona-Pandemie angehäuft haben, mit wachsenden Steuereinnahmen abtragen zu können. Dafür gibt es aber keine Garantie. Zu sehr wirkt die Unordnung fort, welche die Pandemie im globalisierten Kapitalismus auslöste. Vielfach wird von der Krise der Globalisierung gesprochen. Ohne tatsächliches wirtschaftlichen Wachstum und ohne erhöhte Steuereinnahmen wird 2023 – das Stichjahr, in dem die Schuldenbremse wieder eingehalten werden muss – zum Jahr des massiven Sozialabbaus werden.

Aufgabe der LINKEN im Wahlkampf wäre die Betonung eines Bündnisses der Partei DIE LINKE mit den vielfältigen linken Bewegungen in der außerparlamentarischen Opposition sein müssen. DIE LINKE hätte ihre Forderungen mit den klaren Forderungen der Bewegungen und linken Strömungen in Gewerkschaft und Sozialverbänden formulieren müssen. Eine Regierungsbeteiligung hätte an diese Forderungen gebunden werden müssen. So hätte sich DIE LINKE als Partner der außerparlamentarischen Bewegung und als Handlungsoption für eine gemeinsame linke und ökologische Strategie dargestellt.

Mit der LINKEN, so geschwächt diese auch sein mag, gibt es immerhin eine Partei im Bundestag, deren Hauptaufgabe auch darin bestehen muss, die künftige unsoziale Politik von Ampel- oder Jamaika-Koalition zu kritisieren und konkrete Alternativen vorzuschlagen. Hierfür muss sich die Partei jedoch auf eine Politik der konsequenten Opposition verständigen. Im Widerstand gegen die Umsetzung einer vermeintlich ökologischen Agenda 2030 könnte DIE LINKE wieder erstarken. Voraussetzung dafür wäre aber, dass ihr eine Erneuerung ihrer Strategie und in einigen Bereichen ein Politikwechsel gelingt. Hierfür muss sich die Partei in den nächsten Monaten glaubhaft weiterentwickeln.

Viel hängt aber auch davon ab; wohin sich die Sozialdemokratie aber auch Bündnis 90/Die Grünen weiterentwickeln: Sollte es beiden gelingen, ihre ökologische Modernisierung des Kapitalismus mit einer vermeintlich sozialen Komponente als erfolgreich darzustellen, würde DIE LINKE vor größeren strukturellen Problemen stehen.

Aus dem Wahldesaster ergeben sich aus der Sicht des Marxistischen Forums für die Partei DIE LINKE folgende Konsequenzen.

  1. Die Ursachen der Niederlage schonungslos aufarbeiten. Kein „weiter so“.
  2. Die LINKE muss ihr soziales Profil bei den Lohnabhängigen schärfen, dafür muss die Partei sowohl die Strategie als auch politische Inhalte neu diskutieren. Was die LINKE jetzt jedoch nicht braucht, wäre eine Programmdebatte.
  3. DIE LINKE um die Achse einer populären linken Politik und antimonopolistischen Bündnis neu ausrichten. Eine linke populäre Politik, ist nicht nationalistisch oder chauvinistisch. Sie ist antikapitalistisch, antimilitaristisch und internationalistisch im eigentlichen Sinn des Wortes wie er von Marxistinnen und Marxisten geprägt wurde, die Kämpfe, um Emanzipation in den jeweiligen Ländern zu unterstützen. Sie kämpft für populäre soziale Forderungen mit dem Ziel die weitverbreiteten Sehnsüchte nach einem regulierten sozialstaatlichen Kapitalismus aufzugreifen und mit den fortschreitenden der Kämpfe und den sich herausbildenden Bewusstsein diesen in eine antikapitalistische Richtung zu führen.  Es geht vor allem darum Kernmilieus der Arbeiter anzusprechen und Strahlkraft auf das sozioökonomisch untere Fünftel der Gesellschaft zu entwickeln. Das wäre die eigentliche Aufgabe, welche der Begriff verbindende Klassenpolitik zu beschreiben hätte. In der Perspektive eines antimonopolistischen Kampfes geht es darum diverse Segmente der Lohnabhängigen zu verbinden gemeinsam mit den unteren Mittelstand, der von der Kapitalkonzentration betroffen ist, in ein Bündnis, dass in einer fortschrittlichen antimonopolistischen Demokratie mündet. Dafür wird sich das Marxistische Forum innerhalb der Partei Die Linke einsetzen.
  4. DIE LINKE darf nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie ihre friedenspolitischen Grundsätze aufgeben wolle. Keine Kriegs- und Auslandseinsätze der Bundeswehr, keine Waffenexport, keine Drohneneinsätze noch die Beschaffung solcher zu Kriegszwecken und zum Morden von Menschen. Die Forderung, die NATO zu ersetzen durch ein System kollektiver Sicherheit muss unverzichtbares Markenzeichen der LINKEN bleiben. Internationalismus, d.h. Unterstützung von emanzipatorischen Kämpfen weltweit, also gerade auch im Globalen Süden, wo sie oft in der Gestalt antiimperialistischer Kämpfe stattfinden, muss auch weiterhin Kernbestandteil linker Politik bleiben.
  5. Die Partei muss in ihrem Auftritt weniger akademisch werden.  Sie muss an Stammtischen und in Vereinen mitdiskutieren können. Gezielt muss die Partei Menschen ansprechen, die als Lohnabhängige, sozial Benachteiligte und RentnerInnen eine Politik verlangen, die die bestehenden Strukturen des ‚Oben‘ und ‚Unten‘ grundlegend infrage stellen. Um dies zu gewährleisten, muss Sektierertum in der Partei bekämpft und eine Diskussionskultur entwickelt werden, die durch einen solidarischen Umgang mit unterschiedlichen Positionen in der Partei geprägt ist. Debatten müssen wieder so organisiert werden, dass die Partei als „Kümmerer-Partei“ und als Angebot an die Beteiligung von Lohnabhängigen ausgerichtet wird. All dies wurde in der Vergangenheit vernachlässigt.
  6. Stärkere Verankerung in den Gewerkschaften.
  7. Auf allen Ebenen muss sich die Partei auch in ihrer Außendarstellung als Partei darstellen, die eine populäre linke Politik glaubhaft verkörpert.
  8. Eine weitere wesentliche Aufgabe der LINKEN besteht darin, ein breites Bündnis mit Kräften zu schaffen, die sich der großen Kriegsgefahr, in der wir uns schon seit längerem befinden, bewusst sind und den Kampf dagegen aufgenommen haben.
  9. Außerdem haben wir neben all` den genannten vorrangig die Aufgabe, die Demokratie mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften zu verteidigen. Sie ist schon seit längeren in großer Gefahr. Aus der Krise dieses politischen Systems ist die Rechtsentwicklung ursächlich zu erklären, die ihre völlige Zerstörung zum Ziel hat. Ökonomische destruktive Grundlage dieses Prozesses ist der Neoliberalismus.